Am nächsten Tag saß er gegen 22.00 Uhr im Chaos, seine aktuelle Freundin saß alleine dort, von wo er vor zwei Stunden in den Laden gefahren war, zündstoffbeladen zu Hause, als Emotionsterroristin. Er fühlte sich gut, unabhängig und ihm war langweilig deswegen. Er hier, sie dort, er liebte das Leben und wußte: Sind Klischees noch Klischees, wenn man sie als diese erkannte? Das Lager war frischer als zu Hause, das Bitter auch.

Blossom saß mit ein paar Freundinnen und Bekannten im hinteren Teil des Chaos, unverputzt und dunkel, es machte also Spaß. Sie mußte dann irgendwann für kleine Mädchen, aparte Eifersüchtlinge, für kleine Zoras auf Toilette und der Weg an der Toilette führte an der Theke vorbei. Connor bewunderte jedesmal den weiblichen Mut, dort auf’s Klo zu gehen. Ihr fiel an der Theke jemand auf, der aussah wie ein Zeitreisender, back to the fifties, die Haare waren zu einer riesigen Tolle aufgekämmt und sie fühlte sich instinktiv an ein Jugendphoto ihres Vaters erinnert. Oder an ein aus dem Kopf wachsendes Croissant. Sie stand da und starrte ihn an, er hatte aufgehört die Courage der Frauen, im Urin zu stehen ( und schlimmeres! ) für wichtig zu halten. Sie stand da und musterte ihn, es mögen vier Sekunden gewesen sein, die vielzitierte Ewigkeit, Liebe auf den zweiten Blick, lalulei!, tandaradei!, und auf einmal wurde bemerkt, wie lange Blossom Connor angesehen hatte. Er tat dies nicht, weil er wieder zu besoffen war, etwas zu merken, doch es war ein Bekannter Blossoms, die ihren Weg zur Ausscheidungshölle fortsetzte. Da sie nicht den Mut - oder die Gleichgültigkeit, die nicht zwangsläufig Kaltschnäuzigkeit sein muß, zusammengebracht hatte, Hornmann anzusprechen war der Zauber der Unendlichkeit in unerquicklichen Schwaden entflogen. Es roch nach Pisse. Als sie wiederkam, ihre Clique nichts gemerkt hatte, versuchte sie noch einen Blick auf den Typen mit der Riesentolle, der sie merkwürdigerweise ohne eigenes Zutun auf Anhieb erwischt hatte, zu erhaschen und sah, wie er sich mit einem "Hallo-wie-geht’s-Es-muß-ja!"-Bekannten von ihr unterhielt. Sie fühlte sich blendend. Sie hatten einen gemeinsamen Bekannten. Blossom beschloß, den "Hallo!-Grüß-Dich!"-Hallodri bei der nächst besten Gelegenheit, dies bedeutete, wenn der Unbekannte es nicht mitbekam, nach eben diesem zu fragen. Und "Hallo!" würde sicher ein paar Informationen haben. Nach zehn Minuten, die Jahrmillionen waren, kippte Connor noch ein Gleumes, schwankte in Richtung Ausgang, nicht ohne zuvor Jovialmann mit schwerer Zunge einige Worte des Abschieds zugemurmelt zu haben. "Tschüs dann."

Nachdem Connor weg war, versuchte Blossom die Nähe des Unverbindlichen so unauffällig als möglich zu suchen. Das übliche, allgemein bekannte Interview folgte: "Kennst du den?" "Ja, der hat mit mir zusammen Abitur. Warum fragst Du?", antwortete er gespielt mißtrauisch. "Ach- nur so aus Interesse. Wie heißt denn der? Hmm, is’ mir auch egal."

Unter einer fadenscheinigen Entschuldigung zog sich Blossom zurück und es vor, die anderen im Hinterteil Wodka-Lemon trinkenden aufzusuchen. Sie erlitt keinen Herzsteckschuss, war aber unruhig. Sie war vom Hinterland, er weder links-, rechts-, sondern nicht praktizierend katholisch. "Er heißt Connor..." Filutten instead of Mulatten - eine + + + + GANZ + + + + andere Geschichte....[bonanza.jpg (15945 Byte)]

Sie verbuchte das in Erfahrung bringen des Namens als Erfolg, den ihr die anderen nicht anmerken sollten, so wie sie dies immer tat und doch keinen Weg unversucht ließ, per Zufall auf sich hinzuweisen, die Reichtümer der Armen, aufgewühlt und frühlingshaft. Und doch war sie böse auf sich, warum hatte sie ihn nicht angesprochen, auch wenn er offensichtlich so voll war, daß er den Kontakt vielleicht nicht erinnern könnte und sie an ihren Vater erinnerte. Es war wohl doch richtig, nicht aber, daß über jedem Anfang ein Zauber liege. Es wäre vermessen, bei dieser Begegnung von einem Anfang zu reden, obwohl Connor den Abend noch lange in Erinnerung behielt, als er die Unterhaltung der Thekennebenfrau mitbekam, die ihrem sichtlich nicht weniger angetrunkeneren Liebhaber "...und wenn ich traurig bin, kommt aus meinen Brüsten blaue Tinte.", in’s Altbier diktierte. Auch sie würde noch jemanden finden und sei es auch nur ein gescheiterter Buchbinder.

Connor ging zu Fuß nach Hause, es hatte kurz vorher noch eine wichtige Entscheidung zu treffen, er entschied sich für ein großes Bier und gegen ein Taxi. Vier Kilometer können eine lange Strecke sein, wenn man sie mit etlichen Bieren im Leib geht und es störte ihn, daß ihm auf dem Rückweg auch noch richtige Menschen begegneten, am Ende sogar welche, die sich auf den Weg zur Arbeit machten. Eine ältere Frau, die einem Loriot-Sketch entsprungen war, schüttelte den Kopf und rief: "Unter Hitler hätte sowas nicht gegeben, da hättet ihr gearbeitet!" Er grinste, blickte die Frau an und sagte: "Wenn das Robert Ley wüßte... meine Führerin ich melde: Der Mai ist gekommen."

Dann setzte er seinen Heimweg fort. Ihm waren diese Blicke egal, sie wußten nichts von der harten Arbeit, die Connor verrichtete, welcher Energieleistung es bedurfte, Rollen auszufüllen, in ihnen aufzugehen, sie zu werden. Ob versoffenes Subjekt oder Lebenskünstler - er war harter Arbeiter und liebte seine Gesellschaft. Er ging zielstrebig zur Haustür, öffnete diese überaus geschickt und schnell, ging die Treppe hoch und fühlte sich merklich nüchterner durch dem Fußmarsch. Er zog sich aus, wollte schlafen, nur schlafen. Er forderte den traumlosen Schlaf, der erholsam sein mußte. Am nächsten Morgen stand er überraschend frisch auf, überlegte, wie er sich zerstreuen könnte, rief Dugal an, quatsche ein wenig, nahm den Kaffee von gestern, stellte die Kaffeemaschine wieder an, legte einen Bootleg von den Smiths auf, hoffte, daß die Heizplatte der Maschine ihm in zehn Minuten einen erträglichen Kaffeegenuß bereiten würde. Aber kein Verlangen nach klarer Sicht.

Stimmung nach dem Aufstehen/ Ausblick Anblick Blossom /Scheinheiligkeit Blossoms Brief an Haargummi

Man lebt so vor sich hin und ist lethargisch, ohne es sein zu wollen. Doch die Botschaft des Glücks war noch nicht bei ihm angekommen; kein außer Kraft gesetzter Kulturpessimismus, dies kann er den NeuEngländern nur schwer verzeihen. Die Abhängigkeit, die Ergebnis der Legion europäischer Bürgerkriege war, ging ölähnlicher runter. Der Ausbruch fällt meist schwer. Dann sucht man sich ein neues Betätigungsfeld, ob sinnvoll oder nicht, man kann nicht immer nur lesen oder trinken. Außerdem muß beides finanziert werden. So sehr sich Connor dagegen sträubte, er arrangierte sich mit sich und fand eine Arbeit. Er gab das lange Schlafen nur sehr ungern auf, doch man kann nicht immer Schnorrer sein und so fand er es akzeptabel, als Pizzafahrer anzufangen. Eine häßliche Arbeit, ein stumpfsinniger und auch noch amerikanisierter Job. Er dachte an die Operette, die er stattdessen im Kopf und den Fingern hatte, "Der Mohr von Sevilla" oder "Madame Butterkeks". Meistens mußte er in die Assiwohnviertel, die offiziell soziale Brennpunkte hießen. Aber genau so einen Job wollte Connor, denn er konnte während des Arbeitens, die ihm wenig kopflastiges abverlangte, über wichtige Dinge nachdenken und lernte seine Heimatstadt noch besser kennen. Die erste Arbeitswoche ging schnell vorbei, er lernte vieles kennen und der 80 ccm Roller den er fuhr war auch nicht von schlechten Eltern. Das Wochenende schlug er sich mit Freunden in Buntglasbiertempeln und im Chaos um die Ohren. Der Ausnüchterungssonntag ließ ihn die Woche Revue passieren und er merkte, daß wieder einmal eine Woche seines Lebens vergangen war. Nicht verloren, aber vergangen, also unwiederbringbar weg. Sieben Tage sind hundertachtundsechszig Stunden. Das sind zehntausendachtzig Minuten. Also sechshundertviertausendachthundert Sekunden. In jeder dieser Sekunden hätte er Geburtshelfer oder Zeuger einer genialen Idee sein können. Was würde geschehen, wenn er nachmittags in eine Frittenbude ginge und auf dem Weg dort hin von einem Auto überfahren würde? Dann wäre er biologisch und auch sonstwie tot - einfach tot. Alles in ihm wär’ mitgestorben ohne daß er die Dinge getan hätte, die er gerne hätte anstellen wollen. Das Unterschiedslos: Wenn man keine Pläne hat, so tut man Dinge.

"Hallo!" besuchte am frühen Abend Connor, er wollte wissen, wie es ihm gehe, denn ihm war zu Ohren gekommen, daß sich Connor einen Job gesucht hatte. Ein starker Kaffee wurde gebraut und er war trotz viel H-Milch ungenießbar. Ihm wurde berichtet, daß eine Blossom sich nach ihm erkundigt hatte, das rief ihn auf den Plan:

"Wie alt ist sie? Wie ist sie überhaupt? Ist sie klug? Kann man die poppen? Wo geht die immer hin? Bist du sicher, daß die was von mir will? Und außerdem: Wie sieht die überhaupt aus? Nein, sag’ nich’ die hat innere Werte!"

"Stille Wasser sind tief."

"Ja, die blasen ohne weiß zu werden!"

"Es ist unglaublich, Connor! Ich sehe in dein Fragegesicht und es ist kaum zu glauben, daß ich immer noch allein bin. In dieser Stadt, in der ich nahezu jedes Lokal, daß Taxifahrer abholbereit anfahren, in der ich jede Straße, kenne. Und du stellst Fragen. Du bist kein Adonis und solltest über jeden Fitzel Interesse froh sein."

"Ich habe Ausstrahlung."

"Du weißt, wie es ist. Man trinkt viel in diesen Kreisen und weint manches Mal"

"Wir werden es vertiefen müssen."

Er rief bei Lieferservicehauptquartier an und meldete sich krank, er könne nicht kommen, Nebenhöhlen zu, Fieber und so. Dann schlug er "Hallo!" vor, einen Kasten Bier vom Büdchen zu holen und diesen zu beginnen. Es war Sonntagabend. Nach 2 Stunden intensiven Zechens gab es Verabschiedungshalbheiten und Connor überlegte, ob es sich lohne, nochmals das Chaos aufzusuchen. Warum sollte sie nicht in seiner Kneipe sein?! Er telephonierte, nur halbherzig die schwere Zunge mit starken Fieber erklärend, mit seiner Parkfreundin, und war stolz ob seiner Spontaneität. Am anderen Ende der Leitung wurde die Bereitschaft signalisiert, sofort zu ihm zu kommen und ihn zu bedauern, doch er erklärte, dies sei nicht nötig, er ginge gleich ins Bett und sie solle sich einen gemütlichen Fernsehabend machen. Ihm war klar, daß die Chance nicht gering war, eine Bekannte oder ähnliches seiner Freundin über den Weg zu laufen, zumindest gesehen zu werden. Der Aufenthalt würde sofort an sie herangetragen werden und sie hätte ihn wieder bei einer Lüge ertappt. Und dann gab es die schlimmste Strafe. Nein, nicht daß sie sauer auf ihn gewesen wäre, sie hätte Verständnis geheuchelt, geweint, nach Hintergründen gefragt, gebohrt. Ein fernmündliches, "Du Arschloch", tat es bei ihr nie und das war Strafe genug.

"Es ist lange her, daß ich mit jemandem ausgegangen bin."

Er hatte schon zu lange diese grotesken Artischockenshakes getrunken. Aus der Nummer wäre er auch mit Ausreden nicht mehr ‘rausgekommen. Immerhin verstand er sich traumhaft mit ihr im Bett und wußte, das er zumindest dies gefährdete, wenn er sich auf die Suche nach Blossom machte. Auf dem Weg zum Taxistand war ihm klar, daß er ins Chaos gehen mußte, weil er sonst nicht hätte schlafen können und im Wachzustand alle Möglichkeiten eines Zusammentreffens durchgespielt hätte. Und über eventuell Konsequenzen wollte er schon mal gar nicht nachdenken.

Er dachte nach und auf dem Monitor stand:

Es war ein wunderschön düsterer Tag, doch die schreckliche, die kaiserlose Zeit. "Diese Stadt war so schlecht nicht, trotz all ihrer Berge und Hügel. M.- eine Stadt sucht und findet ihren Galan. Sie war halt wie alle Städte, welche das Glück weniger preußischer Dandies und Kraftfahrzeuge hatte. Die Menschen in den umliegenden Gebieten waren einfache Bauern und Handwerker geblieben und wußten, was sie an den Studenten hatten. Waldumrandet, es stand der Atem des Mittelalters. Er ging mit einem Ziegenhainer durch die kleinen Gassen und die engen Straßen. Erst der Himmel entwirrte das pittoreske Knäuel wieder und ihm war als fahre Humboldt jeden Tag in einem Vierspänner zum Mittagsmahl"

 

 

 

 

 

 

  

Connor betrat das Chaos und setzte sich in eine Nische in die Nähe der Theke. Obwohl er nicht mehr viel brauchte um voll zu sein, bestellte er noch einen Hirntod und überlegte, ob er ihr, sähe er sie, etwas sagen könne. Wie gehabt bei Weinschorle das Bedauern hart ertrunken: Wie gehabt: Ein wunderschön düsterer Tag, die schreckliche, die kaiserlose Zeit. Wie Dostojewski und Hesse kann man Fritz nur lesen, wenn man unter zwanzig ist - und dennoch verändert die Lektüre dieser Werke oft das Leben, nicht zwingend zum Schlechteren.