"Und bedenke, daß der sentimentale Mensch im Herzen immer

ein Zyniker ist. Ja, Sentimentalität ist bloß der Bankfeiertag

des Zynismus." (Oscar Wilde, De profundis)

Kleiner nordenglischer Junge

"Ich bin allein, ich bin einsam.", sagte der zehnjährige Junge. Hätte er gewußt, daß es gar nicht so schlecht ist allein zu sein, hätte er diese Worte nicht abgesondert. Da spazierte dieser kleine, dicke Junge durch Stretford, seine mankunische Heimat und dachte an den Tod. Sieben Jahre später. Krebs. Maligne Zellen. Deswegen bezeichnete er das Leben trotzdem nicht als grausame Lüge. Trotz seiner mankunischen Heimat. Aber erfreut war er nicht, als der Arzt ihm mitteilte, er habe Krebs. Wie lange er noch zu leben habe, wußte auch dieser impertinente Mediziner nicht. Wie konnte er solch eine Dreistigkeit besitzen und ihm die Krebserkrankung nicht verheimlichen. "Warum hat er nicht die Rolle des charmanten, unverantwortlichen Lügners gespielt?", fragte er seine, ihm verbliebene, Flasche Whiskey. Krebs. Beschissen wie das Ende einer Liebesbeziehung. Er trifft das Individuum mit dem bildhaften Hammer. Auch der große Junge litt unter Kummer und Zorn, Resignation und Aggression. Ein Gefühl von Schuld und Versagen. Zwei Jahre dauerte die Krankheit. Kein billiger Kampf, ein Auf und ein Ab(gesang). Es ging ihm gut, es ging ihm schlecht- er hatte sich an den Krebs gewöhnt. Intensivstation. Dann starb er. Während er starb, bedauerte er das theatralische Verhalten seiner Verwandten, Freunde, Gegner; ihr Mitleid, ihre Trauer. "Arschfotzenficken", geäußert im Kreise eines Kaffekränzchens hätte nicht diesselbe Reaktion ausgelöst wie seine Bitte, in Ruhe gelassen zu werden. Im Moment des Sterbeaktes, erinnerte er einen Traum vom Vortag. Der Tod kam zu ihm. Er sagte:" Laß mich allein." Dann sah er sich alleine in einem riesigen Raum. Es war angenehm warm dort. Der Junge hörte ein "Schlurfen". Ein riesiges Krebsgeschwür kam auf ihn zu und lud ihn zu einer Tasse Kaffee ein. Es war das gewöhnlichste der Welt von einem Tumor zum Kaffee eingeladen zu werden.

(Naniten gleich Killer-Krabben, gelbe, menschenfleischfressende Pampelmusenhälften; noch schlimmer als jenes: die Mutter der Volkheit hatte Angst vor der Fremdbestimmtheit ihres Tuns!!)

Er vermutete, die anderen Cafegäste würden den Krebs bemerken- nein, scheinbar konnte nur der große Junge ihn sehen. Er lachte. Das Geschwür sah aus wie ein verdorbener Hamburger der Systemgastronomie. Beide führten eine angenehm leichte Unterhaltung. Dann stand er auf, schrie, dem Krebsgeschwür zugewandt: " Du hast mich nie verstanden, wenn ich mit dir geredet habe. Nie. Bitte, für die paar Tage, bitte Krebs, für die paar Tage ... laß mich allein." Das Geschwür nickte. Der Krebs schlurfte zu ihm und fragte:" Was willst du ? Sterbe ich jetzt?" Der Tumor verwandelte sich vor seinen Augen in eine Frau. Eine Frau. Dieser Traum, die geile Agonie, hatte den Krebs zum Sexualobjekt degradiert. Entfremdet zur sexuellen Hochleistungsmaschine, gesichtslos, aggressiv, animalisch, gut. Er war tot. Das ihn vermutlich rettende Mittel wurde drei Wochen später auf den Markt geworfen. Es hieß "cynismoForte". Ein junger Mann läuft durch den Norden Englands. Er findet Krebsleiden naiv, exzentrisch, durchdacht, eine Quelle von Tragödien, irrational- all' dies und ihm würden noch hunderte von Begriffen einfallen. Er beschloß niemals Krebs zu bekommen.

Cocytus: One of the rivers

of the underworld, frozen

Mit schwerer Zunge murmelte der Pixeler:" Also ich stelle Gott in Frage, auch wenn ich seinen Job nicht haben will."

"Damit behauptest du implizit, King Duncan sei ein Naivling gewesen. Was war sie denn, als sie mich verließ??"

Sie mümmelten sich in eine Wolldecke wie jüdische Rentner in Miami, schauten fern und tranken Sherry.

"Du hast dich benommen wie der Elephant auf der Sinaihalbinsel."

"Ich weiß!"

Du warst ein richtiger Nacho."

"Nein, ich war ein Anchovi!"

In ihren Köpfen Erinnerungen an die Vitusstadt und Rhenapolis. In Rhenapolis geht man ins Früh, M - eine Stadt begehrt ihren Retter. Sie würde ihn nach Jahren mit Philosophie bedrängen, für sie die Königin der Wissenschaften. Er will nicht weltdurchbrechen und erklärt, daß er sich in seinen engen Grenzen wohlfühlt; Neugier hin oder her - vor mancher Tür hat man mehr Angst als beim öffnen von Briefen.

Das Verhalten des Ministers für Alltäglichkeit ähnelte dem eines Pennälers, der nach einer Reihe von Fünfen und Sechsen darauf wartete, daß ihm der Himmel in der letzten Klassenarbeit vor der Zeugniskonferenz noch eine Eins beschert, die gerade zur Versetzung langen möge.

Er wurde die Knechtschaft der Welt wieder los.

Connor konnte dennoch seine Absonderung vorbringen. "Wir leben nicht auf der Überholspur, sondern auf der Parallelautobahn." "Und selbst dort sind einige noch die Geisterfahrer."

Atomium in Brüssel: Man durchwandert das

Gebäude als überwucherte Ruine der Endzeit

Eine Person fährt auf der Autobahn. Nicht besonders schnell, aber auch nicht langsam. Unaufmerksam. Sie findet das Autobahnfahren monoton. Ohne Überraschungen. Kilometer um Kilometer das gleiche Bild. Randbebauung, die nicht richtig wahrgenommen wird. Blick in den Rückspiegel. Beschleunigung. Das Automobil hinter ihr wird kleiner. Abgehängt. Genugtuung. Blick in den Rückspiegel. Ein Fabrikat, wie sie es früher einmal fuhr. Nicht besonders komfortabel, aber es gefiel ihr gut. sie fühlte sich damals wohl. Sehr wohl. Was wohl aus dem Fahrdienstzeug geworden ist? Jetzt fährt sie einen schnellen, teuren Wagen. Der Vorteil ist, daß man schneller am Ziel ist. Ziel. Im Innenraum des Autos macht sie eine Fliege nervös. Seit sie das teure, schnelle Gefährt hat, läßt sie sich nicht mehr so gerne ablenken. Sie muß schneller fahren als die anderen. Vor sich sieht sie eine Ausfahrt. Sie kann die Hinweisschilder nicht richtig lesen. Früher war dies leidlich möglich. Risiko. Problem. Er würde nicht zum Frühstück bleiben können.

Sie nimmt die Ausfahrt.

kommt in die Stadt

will zurück auf die Autobahn.

fragt Passanten,

doch niemand kann ihr den Weg weisen. Ihr Wagen geht an einer Kreuzung aus. Defekt: Ein Leihwagen muß her. Sie will. Ihr Leihwagen ist klein, unbequem und langsam. Im Rückspiegel erkennt sie ihren Wagen. Nach Augenblicken ist er nicht mehr zu sehen. Tizian brabbelt aus dem Autoradio irgendetwas unverständliches. Sie findet ohne fremde Hilfe die richtige Auffahrt. Fährt weiter. Das Leben im Grönemeyer-Stakkato. Plötzlich erstreckt sich auf der Bahn eine große, schwarze Mauer. Andere Wagen liegen zerschmettert davor. Person bremst, schaut zurück, ist froh das der Leihwagen langsamer ist als der eigentliche. Auf der Autobahn darf man nicht wenden noch zurückfahren. Während sie aussteigt, um die Mauer zu umgehen, fahren andere gegen diese. Sie will weiter. Als sie durch ein Loch im schwarzen Hindernis kriechen will, wird sie von einem Gefährt erfaßt und mit durch die Barriere geschliffen. Es muß ja schließlich gerecht zugehen

Selbstmitleid in Brüssel: Er durchleidet den

Kopf als überwucherte Ruine der Endzeit

"Blossom, weißt du was schön wär’?"

"...wenn du nach dem Pinkeln den Deckel ‘runterklappen würdest!"

Connors elektrischer Hautwiderstand spielte verrückt. Er mußte sich zwischen Frauen entscheiden, die diese auch waren.

"Ich glaub’ ne’ Blinde is’ ne’ verdammt gute Liebhaberin!"

"...warum..."

Der rest war gentleman-Schweigen. Zur Disposition: die Friesin oder die Nieder-Lothringerin. Irland. Dort trinken die Männer schon morgens Whiskey oder Rasierwasser. Er mag dieses Land. Und auch die Sonne, den Seestern, die Lippen, die Vögel, die Pfeile und Gitarren. Der Führer in Paris. Frisch verbrannte Brotlaibe in Formation fliegen vorbei. Morgens, halb Zehn in Deutschland, der eigenen Rolle genügend bis ausreichend. Einen Kater, für den sich Aspirin C nicht lohnt und eine völlig fremde Frau, die ein Mädchen sein wird, im Bett, der man nur durch gezielte Fragen den Vornamen entlocken konnte...und dann prasselt alles wieder auf ihn ein, der verwirrte Zahnarzt; Clieko Sieomby, der finnische Bauernbefeier, Gotenburg, der letzte Fährmann Deutschlands, der keltische Seperatfrieden, Galatasaray Ostmark. Dein Gott ist Alfred Tetzlaff in den West 3- Wiederholungen, du kennst keine Reue. Gottseidank! Biertrinken zwischen Aufstehen, Verhör und Zähneputzen bewirkt folgendes:

Waffenexporte, Partnertausch, Sex als Konsumgut, millionenfache Abtreibung, Mehrarbeitsselbstverständlichkeiten, Geruchsproben von DDR-Regimekritikern, Bereitstellung von Trauerarbeitsräumen, Bastelbiographien, Zahnhalskaries, Lymphknotenkrebs und Lachsersatzbrötchen, Karma Dzong, 11-Jährige Mädels in Bayern-München-Schals, Ortsbegehungen, stetig wachsende Gewaltbereitschaft, Sandkornabstriche, Befreeiungstheologie, Altenplage, Erbsenwahnsinn, Wertewandelgesellschaft, Unterhaltungsfernsehen (privat), Tautanzen im Mondschein, Bettelbetrug im Dreiecksverhältnis, Flugsalmonellen, Ein-Stück-weit-Staatsraison, Pissoireinlegesiebe, ethnische Säuberungen, Walpurgisakne, Idendtitätsstiftung, Lunares Becken-Yoga, ruhrpottniggaz als tag, Hausfrauennachmittags-Talk-Shows, Gegenöffentlichkeit, alternative Lebens- und Bildungsentwürfe, Lebendzelläquivalenthaut, Ideenfindung im ungezwungenen Gespräch, Beobachtung planmäßiger Autozusammenstöße, Schlupfwarzen , Braunkreuztätowierungen, andalusisch-pawlovsche Hunde, Filme von der Güte Opas letzter Fick oder Anal im neunten Monat, den Pogromrhein, Akkordausbeiner, Ritualmordbeschuldigungen, Nesselsucht, Limburgischer Feenhandel, Quadrath-Ichendorf. Musterküchenhausfachgeschäft, Langatmiges Betroffenheitsfernsehen, Kanzler-machtwort, US-amerikanische Religionsdramen, Analschweiß.

"Wir jagen ihn, ja?"

"Nein, er jagt uns".

Das Vormittagsprogramm sorgt dafür, daß er sich wieder ins Bett legt. Gott erscheint ihm in der Form von Talcid.

"Der Krieg war schlimm, aber Frankreich, Frankreich, die Jahre will ich nicht missen."

Danach schrieb Connor Jacques Chirac einen Brief, in dem er sich aus ästhetischen Gründen unbedingt für die Atomtests aussprach. Es hatte nichts mit Lügen zu tun- er dehnte die Wahrheit, ergo: Leben in der richtigen Realität, in unserem Raum-Zeit-Kontinuum, das an den Rändern vermutlich etwas ausgefranst ist und dies auch sein muß. Eine zweiwöchige Versuchsreihe zum Komplex Mundhöhlenschwangerschaft, eine wahrhaft deutsche Vokabel. Wien war einmal nicht weniger Osten im bezug zum Rheinland als Berlin. Im Chaos setzt sich ein langhaariger Brauenring mit norddeutschem Akzent an seinen Tisch. Gelangweilt ißt Connor eine Currywurst mit Pommes rot-weiß. Brauenring schaut auf den Teller, mustert die durch nordrhein-westfälischen Curry geschmacksneutralisierte Wurst und sagt:

" Na, wie fühlt es sich, ein Stück Scheiße zu sein, das vom Tod anderer lebt?"

"Sehr gut!"

"Jüdische Frontkämpfer ... es ist scheiße, wenn’s dich erst beim zweiten Aufwasch erwischt. Männer sollten Brokatschlafanzugoberteile tragen und ihre Jeans mit Gladiolen schmücken. Muß aber nicht sein."

Brauenring ging wenig amüsiert. So war die Welt halt, nicht nur Morrissey liebte Gladiolen sondern auch Stalin.